Interview mit Herrn Karl Philberth am 12. März

Interviewer: Rita Appelt, Dr. Brigitte Schneider

Erschienen in: Appelt, Rita ; Schneider, Brigitte: Interview mit Herrn Karl Philberth am 12. März.
In: Jahresbericht 2014/15 des Maristenkollegs Mindelheim des Schulwerks der Diözese Augsburg.
Mindelheim, 2015, S. 326–337

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung des Maristenkollegs Mindelheim, Mindelheim


Das Interview mit Frau Appelt und Frau Dr. Schneider gibt mir Gelegenheit, in diesem Jahresbericht zu Ihnen und zu Euch zu sprechen. Ich freue mich darüber. Vielleicht können wir uns auch einmal persönlich sehen? Auch jetzt bin ich in Gedanken mit Euch jungen Leuten verbunden und erinnere mich an meine eigene Jugend mit allem Schönen und Schweren: Schön war die Geborgenheit in einem idealen Elternhaus, schwer war das Erleben der Kriegs- und Nachkriegszeit.

Als Naturwissenschaftler sind Sie viel in der Welt herumgekommen. Auf Ihrem Weg in die Schweiz sind Sie manchmal auch über Mindelheim gefahren. Bedeutet Ihnen die Stadt etwas, oder ist es für Sie nur ein Name?

Die Stadt Mindelheim bedeutet mir viel. In Markt Wald bei Mindelheim wurde der berühmte Astronom und Jesuit Christoph Scheiner geboren. Er entdeckte im Jahr 1611 die Sonnenflecken. Ich betrachte ihn in doppelter Hinsicht als Kollegen: nämlich bezüglich seiner astronomischen Forschungen und seiner erfinderischen Tätigkeit. Auch mein verstorbener Bruder Bernhard und ich haben viel über Astronomie (vor allem Kosmologie) gearbeitet und veröffentlicht. Unsere Erfindungen führten zu über hundert Industrie-Patenten im In- und Ausland.

Das große Anliegen von Ihrem Bruder und Ihnen war und ist die Zusammenschau von christlichem Glauben und Naturwissenschaft. Was hat Sie beide dazu geführt?

Sie fragen nach uns beiden. Es freut mich, bei dieser Gelegenheit zu betonen: Mein Bruder Bernhard war nicht nur der Ältere von uns beiden, sondern auch der Genius. Er war ein gottbegnadeter und genialer Mensch, dem ich unglaublich viel verdanke. Oft bin ich einfach in seinen Fußstapfen gegangen und habe mich bemüht, seine Gedanken zu entfalten.

Im Jahr 1945 war er 18 Jahre alt und ich erst 15. Es ist heute kaum nachvollziehbar, was es bedeutet hat, in diesem das Leben prägenden Alter die Katastrophe des Kriegsendes zu erleben: Trümmer, Hunger, Verbrechen, Lüge. Die allgemeine Verlogenheit – nicht nur des zusammengebrochenen Naziregimes – war wie ein Sumpf, in dem sensible Menschen verzweifelt nach einem Halt suchten. Wir waren von unserem Elternhaus und der Schule her praktizierende Christen, aber wir wollten wissen, ob das Christ-Sein die beste und einzige Wahrheit ist. So machten wir uns auf die große Suche: einerseits in der modernen Physik, andererseits in anderen Weltreligionen. Sehr bald zogen uns die erkenntnistheoretischen Ergebnisse der Relativitäts- und der Quantenphysik in ihren Bann. Unter den Weltreligionen war es vor allem der Buddhismus, der uns faszinierte.

Hat Sie das Studium der Naturwissenschaft nicht dazu verleitet, sich immer weiter vom Glauben an Gott zu entfernen?

Diese Gefahr war freilich groß. Besonders zu der Zeit, als wir die moderne Physik erst oberflächlich kennengelernt hatten. Doch tiefere Kenntnisse der Naturwissenschaften brachten uns eine grundlegende Veränderung: Aus der Gefahr wurde eine Bestärkung. Gern würde ich darauf näher und konkreter eingehen. Doch möchte ich mich zunächst begnügen mit einem Zitat von Werner Heisenberg: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, aber auf dem Grunde des Bechers wartet Gott.“

Sie haben sich in den Buddhismus vertieft. Wieso sind Sie dann trotzdem Christ, ja Priester geworden?

Ich würde es andersherum ausdrücken. Nicht trotz meiner profunden Kenntnis des Buddhismus und anderer Weltreligionen bin ich überzeugter Christ – sondern deshalb bin ich überzeugter Christ. Mein Bruder war bekannt mit dem meines Wissens einzigen diplomierten europäischen Zen-Meister im Bogenschießen, Professor Eugen Herrigel.

Mein Bruder Bernhard verabscheute Halbheiten. Er wollte über den Buddhismus nicht wissen, was alle möglichen Leute darüber schreiben, sondern er wollte die Originalreden von Gotamo Buddha lesen. Aber woher diese nehmen, in einem völlig zerstörten Deutschland? Eines Tages kommt er strahlend heim und schwingt eine große Papier-Rolle. Es waren die Druckfahnen der sogenannten Mittleren und Langen Sammlung der Reden Buddhas. Man hatte sie ihm in einer Druckerei geschenkt, wo sie von einem früheren Druckauftrag übrig in einem Gerümpel-Lager verblieben waren.

Wie hat der Buddhismus damals auf Sie gewirkt? Hat er Sie fasziniert? Was sagen Sie heute dazu?

Der Buddhismus hat von Anfang an überzeugend auf mich gewirkt. Buddhas Reden vermitteln dem Schüler das Wissen über die inneren Zusammenhänge der Welt. Das beeindruckte mich, weil ich mir insgeheim dachte: „Glauben ist schön, aber Wissen wäre mir lieber.“ Heute denke ich anders, weil ich im Glauben an den Dreieinen Gott nicht nur ein fürwahr halten sehe, sondern die treue liebende Verbundenheit des Kindes mit dem Vater, dem Sohn und dem Hl. Geist.

Der Buddhismus fasziniert mich auch heute noch durch seine brillante Klarheit und seine verblüffende Analogie mit den Erkenntnissen der modernen Physik. Man hat mir manchmal vorgeworfen, ich halte den Buddhismus für die zweitbeste Religion. Das ist natürlich Unsinn; schon allein deshalb, weil Buddha nicht an einen persönlichen Gott glaubt und seine Lehre damit keine Religion, sondern eine Philosophie ist.

Wer nicht an einen persönlichen Gott glauben kann oder will, dem kann es vielleicht nicht schaden, wenn er sich mit dem Buddhismus befasst. Vermutlich wird es ihm dann gehen wie mir: Es wird ihm bewusst, wie grauenhaft und praktisch unentrinnbar die Gefangenschaft in dieser Welt ist. Wer das verstanden hat, wird freudig und dankbar den Rettungsanker ergreifen, den der persönliche Gott uns zuwirft: die Erlösung durch seinen Sohn Jesus Christus.

Wir sind beide Naturwissenschaftler; daher wird wohl erwartet, dass wir auf wissenschaftliche Fragestellungen näher eingehen, bei denen sich Physik und Glaube begegnen. Spannend ist beispielsweise die Frage, ob das Weltall nach physikalischen Gesetzen entstanden ist oder als Schöpfung Gottes. Wenn man dann die sich daran anschließende Entwicklung betrachtet, dann ist man schon mitten in einer zum Dauerbrenner geworden Frage: der Evolution.

Gott ist der absolute, der souveräne HERR und Gesetzgeber der Welt. In der Regel schafft und wirkt ER im Einklang mit dem von IHM ins Dasein gerufenen Gesetzen. Das gilt auch vom Anfang des Kosmos vor 13,7 Milliarden Jahren. Durch sein Schöpfungswort hat ER den Kosmos ins Leben gerufen; ohne dabei den von IHM gesetzten Energieerhaltungssatz zu verletzen. Denn die Gesamtenergie des Kosmos ist und bleibt null, da sich positive Massen-Energie und die negative Gravitations-Energie kompensieren.

Zwischen Evolution und Kreation (Entwicklung und Schöpfung) sehe ich keinen Widerspruch, GOTT schöpft in verschiedenster Weise: Sowohl durch sprunghaftes Handeln als auch durch höher führende Entwicklung. Mein Bruder hat dies die Lenk-Evolution genannt. Eine Höherentwicklung ohne GOTTES Lenkung halte ich wissenschaftlich für absurd. Zum christlichen Menschenbild und den modernen Evolutionstheorien hat Papst Johannes Paul II. bereits im Jahr 1996 in einer Botschaft an die Vollversammlung der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften Stellung genommen.

Sie sprechen die Zusammenschau von Physik und dem Dreieinen Gott an. Könnten Sie uns Ihre Meinung hier etwas näherbringen?

Der Mensch ist angelegt auf die Begegnung mit Gott, ist berufen zur bewussten Ich-Du-Gemeinschaft mit seinem Schöpfer, dem Herrn. Als Geschöpf ist er endlich, als Kind Gottes ist er ewig. Darin liegt seine einmalige Würde, die ihn wesenhaft vom Tier unterscheidet. Auf die Ewigkeit hin geschaffen kann der Mensch in seinem irdischen Lebensbereich keine Erfüllung finden. Er fühlt sich beengt von seinen natürlichen Grenzen. Er versucht, diese Grenzen hinauszuschieben, zu überschreiten. Bitte glauben Sie nicht, das sei eine theoretische Konstruktion. Jedes Jahr war ich wiederholt in Kinderheimen, um mit meinen jungen Freunden Gespräche zu führen, um seelsorglich für sie da zu sein. Weil ich Priester und Naturforscher bin, ging uns der Gesprächsstoff nicht aus. Oft fragten dann die Kinder: „Wie groß ist denn das Weltall? Wo ist die Grenze, wo es nicht mehr weitergeht? Wie alt ist das Weltall? Wie hat es angefangen?“ Einmal habe ich den Kindern erwidert: „Gern gehe ich darauf ein, aber vorher habe ich eine Frage an Euch: Ihr braucht das doch gar nicht für Eure Zeugnisse, für Euren Beruf, für Euer tägliches Leben, warum fragt Ihr denn solche Dinge?“ Da konnten sie keine Antwort geben.

„Dann muss ich es Euch sagen: Weil Ihr Menschen seid.“ Solche Fragen hat der Mensch gestellt, seit er Mensch ist. Im alten babylonischen Weltbild, im altorientalischen Weltbild, im skandinavischen Weltbild, überall taucht die Frage des Grenzproblemes auf. Und je mehr der Mensch vom mythischen Denken zum naturwissenschaftlichen Denken übergeht, umso gravierender wird die Frage nach der Grenze: Was ist denn, wenn jemand auch nur in Gedanken wagen sollte, über den Rand der Weltscheibe oder der Weltwölbung hinabzuklettern, wenn jemand es wagen sollte, über die Midgardschlange hinüber zu steigen? Es gab keine rationale Antwort.

Im letzten Jahrhundert, der Blütezeit des Rationalismus und der Aufklärung, da hatte man das kosmologische Grenzproblem gründlich fortgeschafft. Man glaubte, es gebe nur eine Lösung und könne überhaupt nur eine Lösung geben, nämlich den statischen unendlichen Kosmos. Das ist ein großräumig unbewegter Kosmos, der unendlich viel Masse hat, unendlich lange Zeit da war und sein wird und sich in jeder Richtung unendlich weit erstreckt. Damals hatte man überhaupt ein Talent, auf tiefe Fragen banale Antworten zu geben. Die Materie hielt man für ewig, alles Seiende hielt man für Materie, für Willensfreiheit war kein Platz. Es war damals schwer, gleichzeitig Christ zu sein und Naturwissenschaftler. Aber die Verhältnisse haben sich geändert, heute ist die Situation anders. Die Heisenberg’schen Unbestimmtheiten haben die strenge Eigengesetzlichkeit der Materie und damit die Verneinung der menschlichen Willensfreiheit als Unsinn entlarvt. In der freien Welt wird es kaum einen führenden Forscher geben, der die Materie noch für ewig oder als alleinigen Ausdruck des Seins betrachtet.

Wie war das mit der Vorstellung vom statischen unendlichen Kosmos?

Um die vorletzte Jahrhundertwende gab es ein unsanftes Erwachen aus diesem Traum. Hugo von Seeliger wies nach, dass es einen solchen Kosmos gar nicht geben kann, wenn man die elementarsten Voraussetzungen der Physik beibehalten will. Seine Argumentation ist verblüffend einfach: Ein räumlich und zeitlich unendlicher – und damals selbstredend als euklidisch gedachter – Kosmos mit großräumig gleichförmig verteilten Sternen würde bei Gültigkeit des wohlbewährten Newtonschen Gravitationsgesetzes zu unendlich großen Gravitations-Potenzialen führen. Hugo von Seeligers Berechnungen sind so einfach, dass sie jeder Abiturient verstehen und durchführen kann.

Warum war man nicht eher auf diese Überlegungen und Berechnungen gekommen? Darauf kann es wohl nur eine überzeugende Antwort geben: Man hatte diesen Fragenkomplex bis dahin einfach verdrängt, man wollte das letzte aus damaliger Sicht mögliche Weltbild nicht auch noch verlieren. So wandelte sich um die Jahrhundertwende die wissenschaftliche Überheblichkeit und Allwisserei in kleinmütige Verzagtheit. Man wusste nicht, wie der Kosmos aufgebaut war – und man konnte nicht einmal eine physikalisch glaubwürdige Möglichkeit angeben, wie er aufgebaut sein könnte. Erst die moderne Physik – die Relativitätsphysik von Einstein, die Quantenphysik von Planck, Heisenberg und anderen – hat die Zwangsjacke dieses rationalen klassischen Denkens zerrissen und hat einer weiten Schau Platz gemacht. Mein Bruder und ich befassten uns seit vielen Jahren als Forscher mit diesen Fragen. Es ist etwas Großartiges zu erleben, dass die moderne Physik nicht nur den Platz frei macht für den Glauben, sondern geradezu hinführt. Raum und Zeit gibt es nicht ohne Materie. Sie gehören zusammen. Die Frage, was vor dem 13,7 Milliarden Jahre zurückliegenden Anfang des Kosmos war, ist eine leere Frage; denn nicht der Kosmos ist eingebettet in eine absolute Kategorie von Raum und Zeit, sondern der Kosmos hat seine eigene Raum-Zeit. Das ist eine Aussage von unvorstellbarer Tragweite. Sie zeigt, dass Materie, Raum und Zeit keine Absoluta sind. Die Raum-Zeit ist gekrümmt, ist Änderungen unterworfen. Sie ist vor ca. 13,7 Milliarden Jahren überhaupt erst in die Existenz getreten.

Heute wird dies keiner mehr bezweifeln. Das, was die Menschen fasziniert, sind Fragen nach der dunklen Materie und der dunklen Energie. Aus was ist denn unser immer schneller expandierendes Universum aufgebaut, wenn der Hauptanteil aus etwas besteht, das wir nicht sehen? Kann sich doch etwas schneller als die Lichtgeschwindigkeit bewegen? Das werden die Fragen sein, die die jungen Naturwissenschaftler zu beantworten haben. Eine spannende Zeit. Doch zurück:

Das Wesen von Materie, Raum und Zeit und die astrophysikalischen Strukturen von Materie, Raum und Zeit bieten vielfältige Gleichnisse für geistige Wahrheiten. Im Aspekt der modernen Physik lösen sich plötzlich Fragen auf, die die Theologen immer wieder bewegt haben. Etwa die Frage der Prädestination: Wie ist es denn möglich, dass Gott in seiner Allwissenheit alles weiß, sogar vorausweiß und dass dennoch der Mensch frei ist? Was hat es mit der Ewigkeit auf sich? Ist diese Ewigkeit ein immer Weiter, so wie nach der Zahl Billion die Zahl eine Billion eins kommt? Nein, Ewigkeit ist etwas ganz anderes. Es ist das absolute Sein Gottes, nicht gebunden an Raum und Zeit dieses unseres Kosmos, der ja sein Werk, seine Schöpfung ist. Gott ist der Herr nicht nur der Materie, nicht nur des Lebens und aller geschaffenen Geister, sondern auch der Raum-Zeit. Ewigkeit heißt nicht: immer weiter in dieser Zeit, sondern, nicht gebunden an diese Zeit, nicht beschränkt auf sie. Wenn jemand fragen wollte: „Wann war der Himmelsturz Luzifers, der sich auflehnte gegen Gott, war das vor Millionen Jahren oder vor Milliarden Jahren?“, so wäre das eine törichte Frage. Es handelt sich hier um ein transzendentes Ereignis. Ein solches Ereignis kann man nicht einer geschichtlichen oder philosophischen oder astronomischen Zeit zuordnen. Es ist quasi immerzu präsent. Wo immer man mit offenen Augen in der Schöpfung hinsieht, immer wieder begegnet man der Dreiheit. Wenn wir zunächst im Bereich der astronomischen Welt bleiben, das große Tripel, das Dreigestirn des Makrokosmos: Raum-Zeit, Materie, Gravitation. Oder wenn wir auf den Mikrokosmos umschalten, den Kosmos der Atome und Elementarteilchen: Welle, Körper, Wechselwirkung. Und ebenso bietet sich das auch in den geistigen Bereichen immer wieder: Die Schöpfung ist das Abbild Gottes, des Dreieinen.

Was sind Himmel, Hölle und Entscheidungswelten?

Der Himmel ist das Sein, ist die Existenz der Kinder Gottes im Reiche des Vaters die beim Gastmahl mit dem Sohn, begnadet vom Heiligen Geist in einer unvorstellbaren Herrlichkeit, leben dürfen. Die Hölle möchte ich nicht einmal als ewig bezeichnen, denn ewig ist nur Gott allein und damit seine Kinder, die durch seine unvorstellbare Gnade an seiner Ewigkeit teilhaben dürfen. Und die Hölle ist das immer währende Grauen. Entscheidungswelten sind Zustände, in denen Wesen, konkret Menschen, stehen, die Kraft des freien Willens sich für Gottes Reich oder für die Trennung von ihm entscheiden sollen. Es ist wirklich unvorstellbar, dass es sogenannte Satanisten gibt, glücklicherweise sehr wenige, die sich trotz Kenntnis der Existenz Gottes, trotz ihres Wissens über das Heilsangebot, vor GOTT hinstellen und sagen: „Kraft der Freiheit, die du mir gegeben hast, sage ich nein.“ Uns Menschen, weil wir Verführte sind – siehe die allegorische Beschreibung Adams und Evas im Paradies – gibt Gott die Gnade, dass wir uns gegen die Sünde, also für Gott, entscheiden und das Heilsangebot annehmen können.

Für den Teufel gibt es dieses Angebot nicht. Für alle Dämonen nicht, denn die haben, so wie ich es vorhin bei den Satanisten zitiert habe, in vollem Bewusstsein „nein“ gesagt. Und in diesem zeitlos ewigen Zustand, der außerhalb unseres Kosmos existiert, ist das „ja“ der Kinder Gottes zu einem existenziell nicht mehr hinterfragbaren „ja“ geworden und das „nein“ der Aufrührer zu einem irreversiblen „nein“ geworden.

Wir stehen hier, in dieser Welt lebend, in einer Entscheidungswelt. Wir können hier ruhig den Plural gebrauchen: Entscheidungswelten, weil im Grunde jeder Mensch in einer anderen Situation steht. Kardinal Joseph Ratzinger, späterer Papst Benedikt der XVI., soll einmal auf die Frage, wie viel Wege es zu Gott gibt, geantwortet haben: „So viele Wege, wie es Menschen gibt“.

Der Materialismus ist zwar wissenschaftlich überwunden, ihn jedoch aus den Köpfen zu verbannen, ist uns nicht gelungen. Heute begegnen wir konkreten neuen Gefahren: dem „New Age“, Gender, Okkultismus, lebensverachtender Emanzipation bis hin zur Menschenzüchtung. Wenn wir nur das alte Feindbild des Materialismus vor Augen haben, dann werden wir die Auseinandersetzung mit „New Age“ und Okkultismus, mit psychologisch abgestütztem Relativismus, mit lebensverachtender Emanzipation und schließlich mit dem Antichristen selbst, nicht bestehen. Denn es handelt sich hier nicht um einen platten oder einen dialektischen Materialismus, sondern um geistige Machtbereiche; um Bereiche des weltimmanenten Geistes, der oft Ungeist ist – bis hin zum luziferischen Geist. Menschsein heißt, in die Entscheidung gestellt zu sein zwischen dem Geist dieser Welt und dem Heiligen Geist Gottes.

Sie beide hatten doch auch Kontakte zu hochkarätigen Wissenschaftlern aus den unterschiedlichen Bereichen. Haben diese Sie nicht mal auf ihren Glauben hin angesprochen? Immerhin scheint es ja nicht so ganz alltäglich zu sein, dass jemand so klar wie Sie beide Stellung bezieht.

Hierzu eine Anekdote: Ich hatte mal ein Gespräch mit einem Nobelpreisträger, der nicht Naturwissenschaftler war und dessen Namen ich aus Diskretion nicht nennen möchte. Wir hatten uns glänzend verstanden über wirtschaftliche und andere Fragen. Auf einmal sagt er zu mir: „Sie sind doch katholischer Priester?“ Ich bejahe. „Dann können Sie mir vielleicht eine Frage beantworten. Die Kirche steht doch auf dem Standpunkt, dass es ein absolutes Wesen gibt, einen Gott, der transzendent ist, d. h. jenseits der Schöpfung liegt; jenseits der Schöpfung im vollen Sinne des Wortes, also nicht nur im materiell-physikalischen, sondern auch im geistigen Sinne.“ Ich sage: „Ja, die Kirche glaubt daran und es ist auch meine persönliche Überzeugung. Ein Gott, der nicht transzendent, sondern weltimmanent, also zu dieser Welt gehörig wäre, der verdiente gar nicht den Namen Gott. Das wäre nur ein Götze.“ Dann fährt er weiter und sagt: „Sie sind doch Naturwissenschaftler und da müssten Sie doch aus systemtheoretischen Gründen wissen, dass es grundsätzlich nicht möglich ist, aus einem untergeordneten Bereich in einen höheren Bereich einzudringen – beispielsweise aus einer nur 2-dimensionalen Welt in eine 3-dimensionale. Wenn die Kirche trotzdem von einem transzendenten Gott spricht, also von einem aus systemtheoretischen Gründen gar nicht ergreifbaren Gegenüber, dann bleibt nur, dass sie sich letztendlich doch mit einem diesseitigen Gott befasst oder dass das Ganze nur eine Märchenwelt ist.“ Worauf ich erwidere: „Ich stimme Ihnen insofern völlig zu, als man tatsächlich in einen systemtheoretisch übergeordneten Bereich nicht eindringen kann – auch nicht mit seiner Erkenntnis.“ Das erläutere ich sogar noch an Beispielen. Es folgt erstauntes Schweigen. Dann fahre ich fort: Aber jetzt gestatten Sie mir bitte auch eine Frage an Sie: „Kann man von einem übergeordneten Bereich – sei dieser mathematisch, physikalisch oder geistig – in einen darunterliegenden Bereich, in einen darin eingebetteten Raum eindringen?“ Seine Antwort: „Das kann man freilich.“ Darauf sage ich: „Sehen Sie, es war nie die Lehre der Kirche, dass der Mensch aus eigener Intelligenz, Begabung oder eigener Kraft die Kluft zu Gott überbrücken kann. Von der menschlichen Seite her ist es eine unendliche, eine unüberbrückbare Kluft. Wenn wir Menschen Gott suchen und finden können, nur deshalb, weil sich der transzendente, der nicht an Raum, Zeit und Materie gebundene Gott, in seiner Barmherzigkeit zu uns neigt. Er kommt über diese Kluft zu uns, für Ihn ist sie nicht unendlich, denn Er ist ja der Schöpfer.“

Es ist entscheidend wichtig, diese Transzendenz herauszustellen und glaubhaft zu machen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der heutige Mensch in hohem Maße wissenschaftlich-technisch denkt. Wir sollen nicht versuchen, die Grundlage des Christseins auf Wissenschaften abzustützen. Selbst Philosophie und Theologie können Hilfe, aber nicht Grundlage des Glaubens sein. Jedoch sind alle Wissenschaften gerufen, den Menschen auf der Suche nach der letzten Wahrheit zu helfen. Gerade die Physik, die im letzten Jahrhundert dem christlichen Glauben so kontrovers gegenüberstand, kann heute eine wertvolle Hilfe, geradezu eine Hinführung zum Glauben werden.

In der heutigen Welt ist es allerdings ziemlich schwierig mit der Bibel in der Hand, ihren Aussagen und Zeugnissen, an den Menschen heran zu treten. Vielfach wird man dann belächelt, als jemand, der nicht eigens denken kann. Wie sehen Sie das?

Wir, ja ganz besonders die heutige Jugend, sind aufgewachsen in der Denkweise der technischen Intelligenz. Das ist eine auf Einfachheit, Fingerspitzengefühl und praktische Erfahrung gegründete Denkweise. Viele Ingenieure und Techniker stehen abseits der Kirche, weil ihnen die Denkart der Theologie nicht ans Herz greift. Oft sind sie nicht taub für das Wort Gottes, sondern nur für dessen allzu philosophische Interpretation. Es ist Einfachheit des Denkens, nicht Primitivität, wenn immer wieder die Frage gestellt wird: „Ist die Heilige Schrift wirklich Wort Gottes, treten da nicht Widersprüche auf zwischen dem, was in der Schrift steht und dem, was die Wissenschaft lehrt?“ Nehmen wir gleich den Anfang des Alten Testamentes, die Schöpfungstage. Da muss man hören: „Schauen Sie doch, geben Sie es doch endlich zu, das stimmt mit dem heutigen Wissen nicht überein. Erster Schöpfungstag: Es werde Licht; zweiter Schöpfungstag: die Trennung der Wasser; dritter: Land und Kräuter; vierter: Sonne, Mond und Sterne; fünfter: Fische und Vögel; sechster: Großsäugetiere und Menschen. Das stimmt nicht einmal in der Reihenfolge.“ Sie wissen vielleicht, was die Theologen dann gerne sagen: „Die Heilige Schrift ist doch kein Naturkundebuch. Es kommt nur auf das Geistige an, die Aussagen über die Natur brauchen doch gar nicht zu stimmen.“ Das sind so Verlegenheitsantworten; denn wir sind doch überzeugt, dass Gott die Heilige Schrift inspiriert hat, und zwar als Realinspiration, nicht als Verbalinspiration; das heißt: dem Inhalt nach, nicht im Sinn eines wörtlichen Diktates. Gott inspiriert aber nichts Falsches. Es geht also um die Glaubwürdigkeit der Heiligen Schrift. Deshalb waren die früheren Kontroversen zwischen Bibelglaube und Naturwissenschaft so destruktiv. Umso beglückender ist die Erkenntnis, dass die Aussagen der Heiligen Schrift über natürliche Dinge mit dem heutigen Stand der Naturwissenschaften so gut übereinstimmen. Ich möchte versuchen, das in Kürze bezüglich der Schöpfungstage aufzuzeigen. Das frühere Missverstehen des Schöpfungsberichts begründete sich vor allem in der klassischen Denkweise, die von einem fiktiv unterstellten „abstrakten“ Beobachtungsstandpunkt ausging. Nach den Erkenntnissen der allgemeinen Relativitätsphysik ist jeder Beobachter frei, für seine Beschreibung den ihm am sachgerechtesten erscheinenden Standpunkt einzunehmen. Und welchen Standpunkt sollte denn die Heilige Schrift einnehmen, wenn nicht den von Gott ausersehenen Ort des Heilsgeschehens, nämlich die Erdoberfläche!

So wie der Astrophysiker es sich heute vorstellt, war der Planet Erde vor ca. viereinhalb Milliarden Jahren zunächst mit einer dichten Wolkenschicht umgeben und dadurch dunkel. Die fortschreitende Abkühlung führte zur Ausregnung, es wird heller (1. Tag). Diese Ausregnung bedeutet Trennung des Wassers: Ein Teil bleibt als Wolken im Firmament, ein anderer Teil fällt zur Erde (2. Tag). Das zur Erde gefallene Wasser bildet Flüsse, Seen und Meere. Im Wechselspiel von Erosion und Sedimentation, von Senkung und Hebung der Erdkruste, entsteht das feste Land, auf dem im indirekten Licht der Sonne bereits grüne Kräuter und Pflanzen wachsen (3. Tag). Die Wolkenschicht wird immer dünner und reißt schließlich auf, sodass blauer Himmel hervortritt; Sonne, Mond und Sterne werden von der Erdoberfläche aus sichtbar, erst jetzt „sind sie da“ (4. Tag). Als Frühformen des hoch entwickelten Lebens treten Fische und Vögel auf (5. Tag). In der Erdneuzeit erscheinen die Großsäugetiere und, als letztes, der Mensch (6. Tag). Die Reihenfolge des biblischen Berichtes stimmt also. Am Wort „Tag“, das in der Bibel gebraucht ist, braucht man sich nicht zu stoßen. Im hebräischen Text heißt es nämlich „jom“, womit allgemein ein Zeitabschnitt gemeint ist.

Wirklich überzeugend wird dieser biblisch-naturwissenschaftliche Vergleich der Schöpfung erst, wenn man nicht irgendeine Übersetzung des Alten Testaments zugrunde legt, sondern dessen hebräischen Urtext. Hier ist klar unterschieden zwischen schöpfen im Sinne von „erschaffen aus dem Nichts“ und schöpfen im Sinne von „formend gestalten“ – in großartiger Übereinstimmung mit den modernen Erkenntnissen der Astronomie und Paläontologie. Diese Aussagen über den Schöpfungsbericht sind freilich nur ein einziges Beispiel aus den umfangreichen Texten der Heiligen Schrift. Ein einzelnes Beispiel hat als solches noch keine Beweiskraft für die Inspiration der Heiligen Schrift. Trotzdem ist mir gerade dieses Beispiel besonders wichtig, denn es geht hier um die allerersten Sätze der Bibel, sozusagen um die Grundsteinlegung. Wollen Sie darin eine Einladung sehen, sich gründlicher mit solchen Studien zu befassen. Es lohnt sich. Hierzu kann ich Ihnen wärmstens das Buch von Karel Claeys empfehlen „Die Bibel bestätigt das Weltbild der Naturwissenschaft“ (auch im Christiana-Verlag erschienen). Die meisten der zum Vergleich herangezogenen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse konnte damals noch kein Mensch ahnen. Darum stimme ich Karel Claeys zu, wenn er diese glänzende Übereinstimmung als Beweis für die Inspiriertheit der Bibel ansieht: Die den Heiligen Text niederschreibenden Menschen konnten die Zusammenhänge nicht kennen, sie legten Einsichten nieder, die der allwissende Geist Gottes ihnen eingab.

Gibt es außerhalb unserer Erde auch noch Leben?

Es hängt sehr davon ab, was man unter Leben versteht. Im weitesten Sinne sind ja auch Bakterien schon Lebewesen und es spricht einiges dafür, dass es sogar schon auf unserem Nachbarplaneten Mars Leben gegeben hat bzw. noch gibt. Wenn man aber bedenkt, dass unser Weltall mindestens 1022 Sonnen hat und dass doch ein erklecklicher Prozentsatz dieser Sonnen Planeten hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zahllose Planeten in unserem Kosmos gibt, die Lebewesen, ja sogar hoch entwickelte Lebewesen tragen, oder getragen haben, sehr groß. Sehr viel komplizierter wird es, wenn Menschen dann gleich fragen, ob es auch Menschen auf anderen Planeten gibt.

Ja, könnte es denn Menschen irgendwo da draußen im All geben? Theoretisch ist es gut vorstellbar, dass es Spezies gibt, die denken können, doch ich glaube, hier muss man erst mal eine Begrifflichkeit klären; was ist denn der Mensch? Was sagt die Bibel dazu?

Falls man sich damit an einen Paläontologen wendet, dann wird er am ehesten antworten: „Wenn ein Wesen auf zwei Beinen läuft und sein Gebiss keine Affenlücke aufweist, dann ist es ein Mensch.“ Als ich noch jung und unerfahren war, da fragte ich: „Woher wissen Sie denn, dass das ein Mensch ist?“ „Ja, wir definieren den Menschen so; zweibeinig ohne Affenlücke, das ist Mensch – per Definition.“ Man kann den Menschen auch definieren als ein Wesen, das Werkzeuge, Höhlenzeichnungen und Feuer hervorbringt. Aber worauf es der Heiligen Schrift und uns Christen ankommt, das ist nicht die den Zahnarzt interessierende Frage nach der Affenlücke, sondern die Frage des Verhältnisses, das dieses Wesen zu Gott hat, das Angerufensein von Gott: „Ich habe dich bei deinem Namen gerufen.“ Nach der Bibel erschuf Gott den Adam als Stammvater des Menschengeschlechts, indem er ein Gebilde aus Ton formte und diesem seinen Odem einhauchte. Ich werde manchmal darauf angesprochen: „Das ist doch nicht biblisch, wenn Sie als Physiker der Meinung sind, die ersten Spuren des Lebens seien schon Milliarden von Jahren alt und der Mensch habe rein biologisch gesehen vielleicht eine weit zurückreichende Ahnenkette.“ Darauf pflege ich zu antworten: „Das ist sehr wohl biblisch, denn Gott hat es nicht eilig. Dieses Gebilde aus ‚Ton‘ – gemeint ist die natürliche irdische Substanz – könnte Er doch im Laufe von drei Milliarden Jahren geschaffen haben, um dann den entscheidenden Akt der Menschwerdung zu vollziehen: Die Einhauchung Seines Geistes.“ Menschsein, das bedeutet grundlegend mehr als zweibeinige Gangart, überlegene Intelligenz und selbstbezogenes Bewusstsein – es bedeutet persönliches Verhältnis zu Gott, es bedeutet Gotteskindschaft. Das Kind Gottes ist in eine Verantwortung gestellt. Es hat viele Freiheiten – aber auch Grenzen der Freiheit. Es muss sich entscheiden, ob es diese Grenzen einhalten will. Davon ist erstmals im 2. Kapitel des biblischen Schöpfungsberichtes die Rede. Wie es hier heißt, gab Gott der Herr dem Menschen folgendes Gebot: „Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, nur vom Baume der Erkenntnis des Guten und Bösen sollst du nicht essen! Denn sobald du davon isst, bist du dem Tode verfallen.“ Das 3. Kapitel berichtet von der Schlange, die zur Frau sagte: „Hat Gott wirklich gesagt, ihr dürft von keinem Baum des Gartens essen?“ Die Schlange stellt sich also dumm, sie tut, als ob sie Adam und Eva für unterdrückte Geschöpfe hält, denen nichts erlaubt ist und die aus unerträglichem Zwang befreit werden müssen. Doch Eva weiß Bescheid, sie antwortet: „Von den Früchten der Bäume des Gartens dürfen wir essen. Nur bezüglich der Früchte des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott befohlen: ‚Davon dürft ihr nicht essen, ja sie nicht einmal anrühren, sonst müsst ihr sterben‘.“ Sie weiß also sehr wohl, es geht um die Mitte des Gartens, um etwas Zentrales – nicht einfach um irgendeinen Giftbaum, vor dem Gott warnt, so wie Eltern ihre Kinder vor der Tollkirsche warnen. Wie es weiter heißt, erwiderte die Schlange der Frau: „Keineswegs werdet ihr sterben, vielmehr weiß Gott, dass euch die Augen aufgehen werden, sobald ihr davon esst, und dass ihr wie Gott werdet, indem Ihr erkennt, was Gut und Böse ist.“ Die Schlange erweckt hiermit den Anschein, als ob Gott dieses Verbot aus eifersüchtiger Herrschsucht gegeben habe, damit der Mensch nicht Ihm gleich werde. Gott hatte gesagt „dann werdet ihr sterben“, die Schlange widerspricht, „keineswegs werdet ihr sterben“, die Stammeltern haben der Schlange mehr geglaubt als Gott, sie haben sich zur Ursünde verführen lassen. „Der Teufel lügt sogar mit der Wahrheit“, heißt es in Shakespeares Drama Macbeth. Der Mensch ist nicht gestorben, das Menschengeschlecht lebt bis auf den heutigen Tag – und doch ist er gestorben, sein wahres Wesen, die zeitlose Gotteskindschaft, war zerstört; er wurde Teil der gefallenen Welt, dem Machtbereich des sich gegen Gott auflehnenden Luzifers. Aus ewigem Sein in Gottes Geborgenheit war unentwegter Wandel geworden, ausgeliefert an die Mächte des Todes.

Gott allein ist der Herr des Gerichts, Er allein setzt den Maßstab, was Gut und Böse ist. Wer zu Gott gehört, für den ist das gut, was Gott will, und ist das böse, was Gott verabscheut. Einen anderen Maßstab von Gut und Böse erkennen oder gar verwirklichen zu wollen, das bedeutet Trennung von Gott. Es ist die Ursünde. Luzifers Auflehnung „ich will nicht dienen“ ist letztlich die Weigerung, Gottes Maßstab von Gut und Böse anzuerkennen. Der Teufel setzt seine eigenen Normen und schafft damit einen von der Gottesherrschaft getrennten Seins-Bereich, nämlich die Hölle. Er verführt den Menschen seit damals immer wieder neu, Gut und Böse nach eigenem Ermessen festzusetzen und damit nicht Gott, sondern ihm zu gehören.

„Esst vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen und ihr werdet sein wie Gott.“ Diese satanische Anmaßung der Gottgleichheit erreicht heute endzeitliche Dimensionen. Der immer wieder von Gott verworfene Götzendienst des Alten Bundes steigert sich zum Götzendienst weltweiter Ideologien. An Gottes Stelle tritt das Volk, die Partei, die Höherentwicklung oder die Selbstverwirklichung. Als gut gilt, was diesen Götzen dient. Doch an den Früchten kann man sie erkennen: Wenn das gut ist, was dem Volk nützt, dann hat der als „Volksschädling“ oder als „rassisch“ oder „biologisch minderwertig“ Angesehene kein Lebensrecht; wenn das gut ist, was der Partei dient, dann ist für Gottesverherrlichung kein Platz, dann wird der Andersdenkende gehirngewaschen oder ausgerottet; wenn das gut ist, was der menschlichen Höherentwicklung dient, dann ist das Recht auf der Seite des sich durchsetzenden Überlebensfähigen, der Schwächere muss Platz machen und aussterben; wenn das gut ist, was der persönlichen Selbstverwirklichung dient, dann sucht jeder auf eigene Faust die Durchsetzung seines Willens, seiner Karriere und seines Sozialprestiges, dann gehen Ehe und Familie qualvoll zugrunde, dann ist der ungeborene Mensch zur Tötung freigegeben.

Ja, das ist traurig. Was sagen Sie: Muss der Mensch Gottes Maßstäbe annehmen, muss er Gott selbst anerkennen?

Diese Frage rührt an die Letzten Dinge. Der Mensch ist erschaffen zum ewigen Heil in Gott – und doch kann er kraft der ihm geschenkten Freiheit sich gegen Gott und damit zu seinem eigenen Unheil entscheiden. Gott will nicht Herr sein über Wesen, die Ihn ablehnen, Er will nicht Kommandant eines Konzentrationslagers sein. Sondern Er will da sein für alle, welche Ihm als Kind gehören und Ihm als Herrn die Ehre erweisen wollen. Darum lädt Er uns zu seinem Gebet ein: „Vater unser im Himmel, geheiligt werde Dein Name“. Nach dem 4. Kapitel der Apokalypse sprechen die Heiligen zu Gott: „Würdig bist Du, unser Herr und Gott, Herrlichkeit und Ehre und Macht zu empfangen“. Gott, der absolute Souverän, bedarf unserer Verherrlichung nicht – und doch möchte Er sie von uns empfangen, um unseretwillen. Denn wo Menschen Gott verherrlichen, dort ist Himmel und wo Menschen Gott ablehnen, dort ist Hölle. Immer wieder wird versucht, die Menschenwürde horizontal, also innerhalb der Welt zu verankern. Alle solche Versuche verkennen das Wesen des Menschen und führen zur Katastrophe. Dann wehe demjenigen, der die „falsche“ Rasse oder Überzeugung hat, der körperlich oder geistig behindert ist oder der als Ungeborener noch nicht in „sozialem Bezug“ steht. Erst die Gotteskindschaft verleiht dem Menschsein absolute Würde. In der Würdigung Gottes würdigen wir auch Sein Abbild, den Menschen. Unsere Familien sind bedroht durch gegenseitige Entwürdigung von Mann, Frau und Kindern infolge einer egoistischen Selbstverwirklichung und eines rücksichtslosen Kampfes um die Vorherrschaft.

Soll der Mann das Haupt der Familie sein? Wird da nicht die Frau auf den 2. Platz verdrängt?

Nein, der Mann soll das Haupt, die Frau soll das Herz der Familie sein. Wahre Würde kann nicht durch Gesetze aufgezwungen und nicht mit Gewalt abgetrotzt werden – sie wächst nur dort, wo Menschen in dienender Liebe einander freiwillig Ehre erweisen. Der Mann kann nur dann wahrhaft Haupt der Familie sein, wenn seine Frau ihm diese Würde schenkt, und die Frau kann nur dann wahrhaft Herz der Familie sein, wenn ihr Mann ihr diese Würde schenkt. Als schönste Frucht ihrer sich aneinander verschenkenden Liebe dürfen die Eheleute menschliches Leben hervorbringen. Von Gott erschaffen in einmaliger, unantastbarer Würde, ist es der Sorge der Eltern anvertraut. Das ist ihre größte Aufgabe. Sie bedeutet Teilhabe an Gottes Schöpfungswerk. Die Ehepartner sind frei, durch Zeugung und Empfängnis einem neuen Menschen den Eintritt in diese Welt zu ermöglichen, sie sind aber nicht frei, diesem Menschen das Leben zu nehmen.

Wie stehen Sie zur Abtreibung?

Abtreibung ist ein schrecklicher Missbrauch der Freiheit, ein anmaßender Eingriff in Gottes alleiniges Recht über Leben und Tod. „Lassen wir doch die schwangeren Frauen selbst entscheiden“, heißt ein beliebtes Schlagwort zugunsten der Abtreibung. Es steht in krassem Widerspruch zu einem Grundsatz, der heute, über alle religiösen und konfessionellen Grenzen hinweg, allgemein anerkannt ist: Niemand darf verfügbares Eigentum anderer Menschen sein. Das heute so betonte Selbstbestimmungsrecht steht auch dem noch ungeborenen Leben zu. Die beiden Eltern sind dessen Treuhänder, nicht dessen Scharfrichter. Menschliches Leben ist etwas Absolutes, es kann in keinem Stadium und keinem Zustand des Menschseins verweigert werden. Wenn es auch nur an einer einzigen Stelle ungestraft angetastet werden darf, dann ist das wie ein Dammbruch; dann wird damit das Leben als solches preisgegeben: nicht nur das ungeborene Leben, sondern auch das behinderte und altersschwache Leben und schließlich das unerwünschte Leben in jeder Form. Vor uns steht eine Entscheidung, in der es keine Kompromisse gibt: Entweder wir heiligen Gottes Namen und achten das menschliche Leben als Sein Ebenbild, dann dürfen wir auf Seinen Schutz vertrauen – oder wir setzen unsere eigenen Maßstäbe von Leben und Tod, dann sind wir unserer menschlichen Willkür ausgeliefert, bis hin zu den Schrecken eines neuen Weltkrieges. Mit Recht bezeichnete Papst Johannes Paul II. im Jahr 1984 die Abtreibung als unbeschreibliches Verbrechen und erklärte: „Wenn der Schwache schon von seiner Empfängnis an verwundbar ist, dann ist er es auch im Alter… oder durch die Vernichtungskraft der Atomwaffen.“

Prof. Dr. Karl Philberth,
kath. Priester
im April 2015